Carnivora

Auszug

„Das Feuer ging von hier aus…“, murmelte Frank. Mit Latexhandschuhen geschützt untersuchte er die Überreste des Schreibtisches, um herauszufinden, was den Brand verursacht haben könnte. Der Professor war Botaniker gewesen, ein alter Mann, schon lange im Ruhestand, aber noch immer rege. Dennoch erschien es Frank unwahrscheinlich, dass er beruflich mit Chemikalien oder Bunsenbrennern hantiert hatte. Es überraschte ihn daher nicht sonderlich, einen deutlichen Hinweis auf einen Brandbeschleuniger zu finden. In der Asche entdeckte er die Überreste einer Blechdose, wie man sie für Waschbenzin oder Brennspiritus verwendete. „Molotow-Cocktails mixt man anders, Herr Professor. Der Brand war ihr eigenes Werk!“

Also keine Brandstiftung durch unbekannte Dritte, eher ein Unfall. Wenn er keinen anderen Hinweis fand, bedeutete es, dass der Professor seinem Leben und seinem Besitz selbst ein Ende gesetzt hatte, wahrscheinlich durch Ungeschick. Es gab keinen Anlass, einen Selbstmord anzunehmen, das hatte Frank schon überprüft. Der alte Mann war zwar seinem Alter entsprechend schwach, aber ansonsten kerngesund. Zudem hatte er noch ein neues Forschungsprojekt in Angriff genommen. Finanziell stand er ebenso gut da. „Tja, entweder geistige Verwirrung oder der Mann hat sich zuviel zugemutet und ist beim Umgang mit der brennbaren Flüssigkeit umgekippt.“

Um sicher zu gehen, untersuchte er den Raum noch einmal genauer, doch er fand nur weitere Anzeichen, die seinen Verdacht bestätigten. Frank schob einen verkohlten Dachbalken beiseite, um sich noch die Überreste eines zweiten Schreibtisches zu betrachten, auf dem ein Computer gestanden hatte. Immerhin war es möglich, dass an dem älteren Gerät mit dem Röhrenmonitor ein Kurzschluss den Brand ausgelöst hatte. Oder eine Implosion des Monitors. Aber auch darauf fand er keine Hinweise. Unter der zur Unkenntlichkeit verschmorten Tastatur fand Frank eine Geldkassette, der das Feuer erstaunlich wenig angetan hatte. Eine Dokumentenkassette, nicht diebstahlsicher, aber feuerfest. Er strich die Asche von der Kiste und stellte fest, dass sie nicht verschlossen war, der Deckel klemmte lediglich. Doch der Inhalt verriet ihm nichts über die Motivationen des alten Mannes, denn es war nichts darin, als ein völlig vertrocknetes Stück Pflanze, das Frank an ein Agavenblatt erinnerte. Darunter lag ein zusammengefaltetes Papier. Eine Buchseite, aus irgendeinem alten Wälzer herausgerissen.

Vorsichtig fingerte Frank das Blatt heraus und klappte es auseinander. Er kannte sich ein bisschen mit alten Büchern aus, so dass er das Bild auf der Seite als alten Kupferstich erkannte, dessen Rückseite leer war. Ein Kapiteldeckblatt wahrscheinlich. Darauf war eine krakenähnliche Pflanze abgebildet, die in ihren tentakelgleichen Trieben einen dunkelhäutigen Mann umklammert hielt. Zwei weitere Männer, bis auf einen Lendeschurz nackt und mit Speeren bewaffnet, standen hilflos daneben. Darunter hatte jemand mit einem Kugelschreiber „Menschenfressende Pflanze – es gibt sie tatsächlich!“, geschrieben. Es war die Handschrift des Professors, die Frank schon aus der Versicherungsakte kannte.

Er runzelte die Stirn und nahm das vertrocknete Stück Pflanze zur Hand. Es sah tatsächlich ein bisschen wie der Arm eines Tintenfisches aus, nur dass es Dornen anstelle von Saugnäpfen hatte. Messerscharfe Dornen, wie er schnell feststellen musste, denn sie durchdrangen seine Latexhandschuhe auf der Stelle. Frank zuckte zusammen, als er einen scharfen Schmerz im Daumen verspürte. Er ließ die Pflanze zurück in die Schatulle fallen und besah sich die Bescherung. Dicke Blutstropfen quollen aus dem kleinen Loch im Handschuh und fielen auf die Pflanze. „Shit, ich hoffe, das Biest ist nicht giftig. Wann hatte ich eigentlich die letzte Tetanusimpfung?“

Weil das Blut nicht aufhörte, aus seinem Handschuh zu tropfen, zog er ihn aus und saugte an der winzigen Wunde. Frank hatte genug gesehen. Als die Wunde nicht mehr blutete, machte er noch ein paar Fotos, nahm die Kassette und die Überreste der Brennmitteldose an sich und kehrte zu seinem Auto zurück. In seinem Gedächtnis notierte er, dass er den Brand auf einen Unfall zurückführen würde, da er sich nicht vorstellen konnte, dass der Professor auf eine derartige Weise selbst hatte aus dem Leben scheiden wollen.

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