Langsam, unendlich langsam wandte der Rabenmensch seinen Kopf zu ihm um und bedachte ihn mit einem höhnischen Blick. "Und was willst du tun, um deinem Befehl Nachdruck zu verleihen?"

Malik war einen Moment lang völlig perplex. Sein Mund öffnete und schloss sich sofort wieder. Dann gewann die Wut Oberhand in ihm. Er drückte den Ring fester in seine Handfläche und konzentrierte sich darauf, seine Wut über den Ring auf den Jungen zu übertragen. Dieser zuckte sofort schmerzerfüllt zusammen, doch dann tat er etwas, das Malik erschreckte. Er trat noch einen Schritt weiter nach vorn, so dass seine Füße halb über der Kante hingen. Immer heftiger zerrte nun der Wind an ihm, weil er sich nicht mehr im Schatten der Zinnen befand.

"Was soll das?", brüllte Malik entsetzt.

"Ich habe einen Weg gefunden, mich deiner Herrschaft zu entziehen", entgegnete das Wesen ungerührt. Seine Stimme war schwach und kaum zu verstehen. "Jemandem, der seinen Sohn in den sicheren Tod schickt, dem darf man auch keine anderen, Schätze anvertrauen, selbst weniger wertvolle wie mich. Jemandem, der nicht erkennt, was den größten Wert in seinem Leben hat, dem sollte auch niemand dienen. Ich altere zwar nicht wie ein Mensch und könnte ewig leben. Aber ich bin nicht unsterblich, Malik. Meine Zuflucht ist dort unten!"

Malik hörte die Worte des Halbwesens, doch er verstand sie nicht sofort. Erst als der Rabenmensch sich umdrehte und die Arme ausbreitete, als wolle er mit dem Wind davonfliegen, begriff der Hauptmann. Seine Starre löste sich, als der schneeweiße Körper nach vorne in die Tiefe kippte. Langsam, als würde der Wind ihn tragen.

"NEIIIIN!", brüllte Malik und stürzte nach vorn, warf sich über die Brüstung und griff nach dem Jungen. Er bekam gerade noch die Hand zu fassen und hielt sie eisern fest. Doch wenn er sich früher über das geringe Gewicht des Rabenmenschen gewundert hatte, so kam es ihm plötzlich vor, als wäre der Körper des Jungen schwer wie Blei. Der Wind riss an ihm und seinen langen Haaren und Malik musste sich schwer gegen die Brüstung pressen. Er streckte auch seine andere Hand nach dem Jungen aus, als seine Füße Halt an der Mauer fanden, doch der blickte nur mit einem gequälten Blick vorwurfsvoll zu ihm hoch.

"Lass mich gehen! Ich will nicht mehr dein Sklave sein und von dir geknechtet und gequält werden, Kindesmörder!"

Malik wusste nicht, welches der Worte ihn am härtesten traf. Er kämpfte verzweifelt gegen den Willen des Rabenmenschen an, sich selbst zu töten, um frei zu sein. Die zierliche Hand entglitt ihm langsam, er würde den Sturz in die Tiefe nicht verhindern können, das wurde ihm schmerzlich bewusst. Aber den Tod des Wesens, das ihm zu hohem Ansehen verholfen hatte, konnte er verhindern. Er zog sich mit dem Mund den Ring vom Finger. Im gleichen Moment, als ihm die Hand des Jungen entglitt, gelang es ihm, den Ring über dessen Daumen zu streifen.

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