Neue Wege - Auszug

Die dazu gehörende Illustration gibt es hier.

Sein Blick fiel auf die große Pergamentrolle, die mit Nadeln auf dem schrägen Tisch festgemacht war. Es war eine Ansicht des Hafens mit allen Kaimauern und einer Kennzeichnung der tiefen Fahrrinne zwischen den Klippen und dem Hafenbecken. Daneben war ein Haufen dünner Papiere mit einer Klammer befestigt, auf denen mit Kohle Skizzen gemacht worden waren. Balays Vater war ein wohlhabender Zimmermann gewesen, daher waren dem Jungen solche Zeichnungen nicht unbekannt und er konnte sie sogar bis zu einem gewissen Punkt verstehen. Sehnsucht nach seinem früheren, behüteten Leben kam in ihm auf und es kostete ihn Kraft, diese Erinnerungen zu unterdrücken. Und die Hoffnung, doch noch einmal ein besseres Leben führen zu können, die ihn in den beiden Jahren seit dem gewaltsamen Tod seiner Eltern am Leben erhalten hatte. Nichts war ihm danach geblieben außer seinem Leben. Und das war in einer Stadt voller Armut und Hoffnungslosigkeit nicht viel wert. Doch sein Stolz hatte ihm nicht gestattet, einfach aufzugeben. Sein Vater wäre sehr enttäuscht von ihm gewesen, hätte er sich einfach weggeworfen. Dieser Gedanke hatte ihn voran getrieben und verhindert, dass er sich Banden wir der von Skar anschloss. Er blieb für sich und wollte sich nicht in Verbrechen hinein ziehen lassen.

Nur leben.

"So, den wären wir los."

Balay zuckte zusammen, als er die Stimme des Baumeisters hinter sich vernahm. "Hoffentlich...", murmelte er nur und starrte weiter auf die Zeichnungen.

"Ganz sicher, auf Hauptmann Nevilo ist Verlass. Zufall und Glück, dass er gerade hier war. Ich kenne ihn ganz gut." Der Baumeister ließ sich wieder auf den Hocker vor dem Zeichentisch sinken und sah Balay neugierig an. "Kannst du damit was anfangen?"

"Mein Vater war Zimmermann...", fing Balay an und blinzelte, um die Tränen zu unterdrücken, die sich in seine Augen brennen wollten. "Ich habe nicht mein ganzes Leben auf der Straße verbracht. Soll das eine Sperre für die Fahrrinne werden? Damit kein Angreifer in den Hafen kommt?"

"Ja, aber ich habe noch keine Lösung gefunden. Mir fehlt immer noch eine Idee, wie ich sie so konstruieren kann, dass sie nur für die unerwünschten Schiffe geschlossen werden kann, für die Gewünschten aber immer offen ist." Der Blick des Baumeisters ruhte weiter forschend auf Balays Gesicht. Diese Musterung war ihm unangenehm, vor allem, weil er etwas anderes erwartet hatte, als der Mann zurückkehrte. Einen Rauswurf.

"Bevor wir nach Saramee kamen, hat mein Vater für einen Gutsbesitzer ein Tor konstruiert. Ich weiß nicht mehr wofür es gut war. Es war ein Gitterrost aus Stahl, sehr schwer, aber man konnte es ganz leicht hoch ziehen. Es lag über einem Graben, man konnte dann drüber laufen. Wenn man es hoch zog, verschloss es den Zugang sicher. Ich sollte es damals schließen, um zu demonstrieren, dass es ganz leicht geht. Da war ich acht Jahre alt. Es waren eine Menge hölzerner Räder und Rollen dabei, über die das Seil lief, an dem ich zog. Aber es war wirklich ganz leicht", erklärte Balay, der nicht mehr verhindern konnte, dass die Tränen über sein Gesicht liefen, weil die Erinnerungen ihn quälten.

Der Baumeister legte ihm sanft die Hand auf die Schulter und drückte sie. Seine Augen leuchteten dabei. "Mein Junge, du hast mir gerade die Lösung für mein Problem eingegeben. Danke! Ich werde mich dann gleich an die Arbeit machen, man erwartet in zwei Tagen schon konkrete Pläne von mir."

Balay sah ihn überrascht an und wartete ab, was da noch kommen mochte.

"Wie wärs mit was zu essen und einer gründlichen Körperreinigung? Du findest alles Nötige in der Küche! Wenn du dich ausruhen möchtest, nebenan liegt eine Hängematte, die Balken im Haus halten sie aus. Bleib hier, so lange du magst, da draußen ist die Luft noch etwas zu dick für dich."

Balay konnte es nicht begreifen, aber er tat mechanisch alles, was der Baumeister ihm gesagt hatte. Wieder drängte sich ihm gnadenlos Hoffnung auf. Mit einem Mal konnte er sich eine Zukunft vorstellen. Doch er verdrängte den Gedanken weit nach hinten. Er war zu oft enttäuscht worden in den letzten zwei Jahren. Aber vielleicht gab es ja doch eine kleine Chance...

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