Blutschuld - Auszug

Erscheint auch in der Novemberausgabe der Zeitschrift "Neues aus Anderwelt"

...Nichts hatte geklappt von all den schönen Plänen, die sie gemacht hatten. Zwei Mal war er für Frances zum Mörder geworden, aber das war nichts, wofür Mathieu sich schämte. Er hatte das Gift beschafft, das dem schwachen Herzen des Vaters die letzte Kraft nahm. Gegeben hatte es ihm zwar Frances, aber es war seine Idee gewesen, damit Frances nicht mehr mit diesem Schwachkopf von Steinmetz schöntun musste, der für ihren Vater der Wunschnachfolger war. Und dann dieses dumme Schaf Jules, der Frances angebetet und in ihrem Vater einen Gott gesehen hatte. Nun war auch er nur noch Wurmfutter.

Doch da war noch dieses dämliche Testament.

Frances hatte geglaubt, dass es kein Problem sein würde, es nicht zu haben, schließlich war sie das einzige Kind ihres Vaters gewesen. Das Erbe sollte ihr quasi in den Schoß fallen. Doch weil sie noch nicht volljährig war, hatte ein Amtsrichter, den man als ihren Vormund bestellt hatte, untersagt, den Besitz zu verkaufen. Ohne ein Testament mit entsprechendem Text konnte man daran auch nichts ändern. Ein Testament zu fälschen, wagten sie jedoch nicht. Irgendetwas machte die Menschen um Frances misstrauisch genug, um jedes plötzlich auftauchende Testament anzuzweifeln, wenn es zu sehr zu Gunsten der Tochter sprach.

Mathieu hieb mit der Faust gegen die Hauswand. „Jules, du verdammtes Schwein. In der Hölle sollst du schmoren.“

Der Regen wurde immer stärker und Blitze zuckten über den Nachthimmel. Mathieu beschleunigte seine Schritte, doch er hatte kein Ziel vor Augen und fand sich plötzlich auf dem Platz vor dem Dom wieder. Ein neuerlicher Blitz erhellte das Gebäude nahezu taghell und Mathieu legte seinen Kopf in den Nacken. Im letzten Aufflammen der fein verästelten Energieentladung konnte er das Monster sehen, das Jules geschaffen hatte. „Ich verfluche dich, Jules Maginot!“, brüllte Mathieu in den Donner, der dem Blitz folgte.

Ein weiterer Blitz erhellte den Himmel und Mathieu stockte der Atem. Sein Blick war noch immer auf den Domgiebel gerichtet, doch er konnte den Gargoyle nicht mehr entdecken. Er riss die Augen auf und wartete angespannt auf neues Licht. Als es dann kam, schüttelte er verblüfft und angstvoll den Kopf.

Der Gargoyle war verschwunden. Der Giebel war leer.

„Welches Recht hast ausgerechnet du, einen Rechtschaffenen zu verfluchen“, erscholl eine tiefe, heisere Stimme hinter ihm wie ein Nebelhorn.

Langsam drehte sich Mathieu um, doch er konnte nur Schwärze sehen. Kein Licht erhellte den großen Platz und der Regen schluckte alles.

Wieder zuckte ein Blitz über den Himmel und Mathieu sah sich dem größten Grauen gegenüber, zu dem seine Vorstellungskraft fähig war. Seine Lippen öffneten sich zu einem verzweifelten Schrei, doch der Regen verhinderte, dass er an die Ohren der Lebenden drang.

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